Kind in Pflegefamilie: das Umgangs- und Besuchsrecht der Eltern

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Kalender Icon 15. Januar 2022

Es kann sehr unterschiedliche Gründe für die Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie geben. Unabhängig davon, ob es sich um eine freiwillige Unterbringung oder eine Entscheidung der Kindesschutzbehörde handelt, besteht immer die Frage: Welche Rechte haben die Eltern in dieser Situation? In diesem Artikel erfahren Sie, wann die Unterbringung in eine Pflegefamilie notwendig ist, welche Voraussetzungen es für diese gibt und welche Umgangs- und Besuchsrechte die biologischen Eltern des Kindes haben.

Auf einen Blick

  • Das Kind kann von den biologischen Eltern freiwillig einer Pflegefamilie anvertraut werden.
  • Die Unterbringung in eine Pflegefamilie kann von den Justizbehörden beschlossen werden.
  • Pflegeeltern können sowohl nahe Verwandte des Kindes sein als auch kantonal anerkannte Pflegefamilien.

Wie funktioniert das Pflegekindwesen in der Schweiz?

Eltern sind per Gesetz dazu verpflichtet, ihrem Kind eine gesunde und sichere Umgebung zu bieten (Artikel 296 und 301 ZGB, Artikel 11 BV). Leider gibt es Situationen, in denen dies nicht oder nicht mehr der Fall ist. Aus diesem Grund ist es manchmal notwendig, das gemeinsame Kind in einer Pflegefamilie unterzubringen, um ihm ein Umfeld zu bieten, in dem es sich frei und sicher entfalten kann(siehe Artikel 307ff ZGB). Darunter versteht man die zeitweise oder langfristige Unterbringung von Kindern bei einer anderen Familie als ihren leiblichen Eltern. 

Im Jahr 2020 lebten fast 20.000 Kinder in Pflegefamilien oder Heimen, wie der Verein „PACH Enfants placés et adoptés Suisse“ errechnet hat. Eine Zahl, die immer weiter ansteigt. Die Unterbringung bei Pflegefamilien ist in der Tat eine Massnahme, die sich in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz weit verbreitet hat. Aus diesem Grund haben sich auch die Rechtsvorschriften zu diesem Thema erheblich weiterentwickelt und lassen keinen Raum für Unklarheiten für die biologischen Eltern zu. Rechtlich wird das Pflegekindwesen in der Schweiz vor allem in der Pflegekinderverordnung (PAVO) geregelt, sowie im Zivilgesetzbuch (ZGB) und in der Bundesverfassung (BV)

Die Unterbringung des Kindes bei einer Pflegefamilie kann von den biologischen Eltern des Kindes entweder auf freiwilliger Basis entschieden oder durch eine Entscheidung der Kindesschutzbehörde angeordnet werden. Auch wenn die Unterbringung in einer Pflegefamilie ohne die Zustimmung der Eltern beschlossen wird, behalten diese  in der Regel das Umgangsrecht mit ihrem Kind, von einigen Ausnahmen abgesehen (Artikel 273ff ZGB).

Welche Arten von Pflegefamilien gibt es?

Bei Bedarf können Kinder zu ihrem eigenen Schutz entweder im Haus einer per Art. 316 ZGB anerkannten Pflegefamilie, bei Verwandten oder in einer Bildungseinrichtung untergebracht werden. Darunter fallen verschiedene Arten von Einrichtungen: Notunterkünfte, regionale Heime und Internate. Diese Unterbringungen bieten dem Kind eine umfassende Tages- und Nachtbetreuung.

Während dieser Zeit ist die Pflegefamilie oder die Einrichtung für die Pflege und Erziehung des Kindes verantwortlich und übernimmt in der Regel die Vertretung für alle Verantwortlichkeiten der elterlichen Sorge (Artikel 300 ZGB). Dabei kann es sich um einerseits um eine vorübergehende  Betreuung handeln, bis die biologischen Eltern wieder in der Lage sind, ihr Kind zu erziehen. Auch eine langfristige (Ersatz-)Betreuung ist denkbar, wenn die Eltern nicht mehr in der Lage sind, für ihr Kind zu sorgen.  Möglich ist auch eine kurzzeitige Unterbringung des Kindes in Pflegefamilien an Wochenenden oder zur Unterstützung in den Schulferien. Bei einer Notunterbringung in dringenden Fällen wird das Kind in der Regel bei einer Bereitschaftsfamilie untergebracht, bis die Situation anderweitig gelöst wurde.

Wann wird ein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht?

In vielen  Fällen handelt es sich bei der Pflegeunterbringung um eine Entscheidung, die gegen den Willen der leiblichen Eltern beschlossen wird, beispielsweise wenn ihnen das elterliche Sorgerecht entzogen wird. 

Hierbei handelt es sich um eine Massnahme, die in den Bereich des Kindesschutzes nach Artikel 307 ZGB und Artikel 1a Abs. 1 PAVO fällt und die in der Regel von der Kindesschutzbehörde eingeleitet wird. Im Allgemeinen erfolgt eine Platzierung in einer Pflegefamilie, wenn die Eltern nicht mehr in der Lage sind, sich um ihr Kind zu kümmern - sei es aus materiellen Gründen (finanzielle Schwierigkeiten), aus psychischen oder physischen Gründen. Pflegefamilien können auch in Anspruch genommen werden, wenn ein Kind zu Hause misshandelt oder grob vernachlässigt wird.

Kann ich mein Kind freiwillig in eine Pflegefamilie geben?

In einigen Fällen sind es auch die Eltern selbst, die die Betreuung durch eine Pflegefamilie für ihr Kind beantragen. Dies wird als freiwillige Vermittlung bezeichnet. Diese Unterbringung erfolgt häufig in der Familie eines näheren Verwandten. So kommt es beispielsweise immer häufiger vor, dass Eltern in Schwierigkeiten die Betreuung ihres Kindes während der Woche ihren eigenen Eltern anvertrauen.

Bei einer freiwilligen Unterbringung behalten die biologischen Eltern in der Regel die elterliche Sorge für ihr Kind. Sie vereinbaren mit der Pflegefamilie, wie das Kind betreut werden soll und wie hoch das Pflegegeld ist. Auf Letzteres haben Pflegefamilien gemäss Artikel 294 ZGB einen gesetzlichen Anspruch, jedoch übernehmen insbesondere Verwandte die Pflege oft auch unentgeltlich.  Die Kriterien für die Pflege sind in der Regel Gegenstand eines Pflegevertrages, für den die Hilfe von einem Anwalt empfohlen wird.

Welche Anforderungen müssen die Pflegefamilien erfüllen?

Um als Pflegefamilie anerkannt zu werden, müssen die Bewerber bestimmte Anforderungen erfüllen, die von der Generaldirektion für Kinder und Jugend festgelegt werden. Diese Verpflichtungen sind in den Richtlinien für die Unterbringung eines Kindes ausserhalb des Elternhauses festgelegt, können aber von Kanton zu Kanton unterschiedlich geregelt sein. Die jeweiligen Kantone müssen ausserdem ihre Einwilligung für die Registrierung als Pflegefamilie abgeben (Artikel 316 ZGB und Artikel 4ff. PAVO). Dies gilt auch für Pflegeeltern, die diese Aufgabe unentgeltlich, jedoch auf Dauer übernehmen möchten.

Bei Pflegefamilien für ein oder mehrere Kinder zu werden, handelt es sich übrigens nicht immer nur um Paare; auch alleinstehende Personen können Kinder aufnehmen. Der Haushalt darf jedoch höchstens fünf Kinder umfassen, einschliesslich der Kinder der Gastfamilie. Die Pflegeeltern müssen ausreichend in der Lage sein, das Pflegekind zu versorgen und zu erziehen. Dazu gehört auch die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel. Sollten Sie auf Probleme stossen, ist das Beiziehen eines Anwalts für Familienrecht empfehlenswert.

Gibt es für Kinder in Pflegefamilien ein Besuchsrecht?

Wenn ein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht wird, haben die Eltern so gut wie immer ein Besuchs- und Umgangsrecht - auch, wenn die Entscheidung, das Kind in einer Pflegefamilie unterzubringen, gegen ihren Willen getroffen wurde (Artikel 273 ZGB).  Ziel ist, dass das Kind weiterhin die Beziehung zu seinen Eltern aufrechterhalten kann, da diese als massgeblich für dessen Entwicklung und Identitätsfindung betrachtet wird (siehe Beschluss des Bundesgerichts BGE 123 III 445, 452 und BGE 122 III 404, 407).

Es gibt jedoch eine Ausnahme: Die Kindesschutzbehörde kann beschliessen, das Umgangsrecht eines Elternteils gemäss Artikel 274 ZGB einzuschränken oder gänzlich auszusetzen, wenn der Elternteil das Kind massgeblich gefährdet oder die Arbeit der Pflegefamilie behindert.

Das Recht der Eltern auf Information 

Zusätzlich zu ihrem Umgangsrecht haben biologische Eltern gemäss Artikel 275a ZGB ein Recht auf Informationen über ihr Kind in Betreuung. Dies gilt auch dann, wenn ihnen die elterliche Sorge von der Kindesschutzbehörde entzogen wurde. Dieses Recht  bedeutet, dass die Pflegefamilie die Eltern über jedes wichtige Ereignis im Leben ihres Kindes informieren muss. Sie haben ebenfalls das Recht, sich über diese bei relevanten Dritten, wie beispielsweise Ärztinnen oder Lehrern zu informieren.

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FAQ: Kind in Pflegefamilie

Hierunter versteht man die Unterbringung eines Kindes in einem anderen Haushalt als dem seiner leiblichen Eltern. Dies kann eine anerkannte Pflegefamilie, das Haus naher Verwandter oder eine spezielle Einrichtung sein. Eine Pflegeunterbringung kann vorübergehend oder dauerhaft angelegt sein.

Wenn Kinder in ihrer Familie nicht gesund aufwachsen und sich entwickeln können, kann die Unterbringung in einer Pflegefamilie notwendig sein. So kann es beispielsweise sein, dass die biologischen Eltern aufgrund psychischer, physischer oder finanzieller Probleme nicht selbst in der Lage sind, für ihr Kind zu sorgen. Eltern können diese Entscheidung freiwillig treffen oder sie kann ihnen von einem Gericht oder der Kindesschutzbehörde auferlegt werden.

Manchmal werden Kinder für einen längeren bzw. unbegrenzten Zeitraum in Pflegefamilien untergebracht, aber nicht immer ist die Unterbringung von solcher Dauer. Die Kinder können auch vorübergehend in einer Pflegefamilie oder in einem Heim untergebracht werden, bis die leiblichen Eltern ihre Pflichten wieder wahrnehmen können. Möglich ist auch eine Pflegeunterbringung auf Ad-hoc-Basis, um Eltern in Notsituationen zu unterstützen.

Kinder, die vorübergehend oder langfristig von Dritten betreut werden, können in verschiedenen Einrichtungen untergebracht werden. Ein Kind kann bei Verwandten oder in einer kantonal anerkannten Pflegefamilie untergebracht werden. Sie können auch in eine Bildungseinrichtung wie eine Notunterkunft, ein regionales Heim oder ein Internat gehen.

In einigen Fällen haben die leiblichen Eltern die Möglichkeit, ihr Kind für eine bestimmte Zeit in einer Pflegefamilie unterzubringen. Es handelt sich dabei um die sogenannte „freiwillige Vermittlung“, da sie dem Wunsch der Eltern entspricht. Diese Art von Pflegeunterbringung erfolgt in der Regel i bei nahen Verwandten des Kindes.

Ja. Man muss nicht unbedingt ein Paar oder verheiratet sein, um ein oder mehrere Pflegekinder in seinem Haus aufzunehmen. Die Generaldirektion für Kinder und Jugendliche muss jedoch eine vorherige Genehmigung für die Pflege erteilen.

Nach Artikel 273 ZGB haben die leiblichen Eltern nach der Unterbringung in einer Pflegefamilie weiterhin Zugang zu ihrem Kind. Insbesondere bei einer freiwilligen Unterbringung behalten die Eltern ausserdem die elterliche Sorge. Das Umgangs- und Besuchsrecht der Eltern kann jedoch eingeschränkt oder sogar widerrufen werden, wenn dies dem Wohl des Kindes dient.

Gesetzesartikel

Massnahmen der Kindesschutzbehörde (Art. 307 ZGB) & (Art. 1a PAVO)

Bewilligung für Pflegekinderaufsicht (Art. 316 ZGB) & (Art. 1 PAVO)

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