Arbeitsunfähig
in der Schweiz: Antworten auf die 5 häufigsten Fragen

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Kalender Icon 05. März 2022

Eine teilweise oder vollständige Arbeitsunfähigkeit kann durch viele Gründe hervorgerufen werden und jeden Arbeitnehmer treffen. Dabei gilt es, die eigenen Rechte und Pflichten genau zu kennen. In diesem Artikel erhalten Sie einen Überblick über die wichtigsten Gesetzesgrundlagen für arbeitsunfähige Arbeitnehmerinnen und -nehmer. In den Fokus setzen wir hierbei die häufigsten Fragen zum Arbeitsunfähigskeitszeugnis sowie zu Lohn- und Lohnersatzansprüchen.

Auf einen Blick

  • Arbeitsunfähigkeit kann körperlicher, geistiger oder psychischer Natur sein.
  • In der Schweiz kann man sich als zu 100 % arbeitsunfähig oder als teilweise arbeitsunfähig melden. 
  • Das Obligationenrecht berechtigt Schweizer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu einer Lohnfortzahlung, wenn sie gesundheitsbedingt arbeitsunfähig sind.

 

Wann gilt man in der Schweiz als arbeitsunfähig?

Artikel 6 des allgemeinen Teils des Sozialversicherungsrechts der Schweiz (ATSG) definiert Arbeitsunfähigkeit als die teilweise oder vollständige Unfähigkeit, seinem bisherigen Beruf oder aktuellen wie zuvor Aufgabenbereich nachzugehen. Die Beeinträchtigung kann dabei auf körperlicher, geistiger oder psychisch gesundheitsbedingter Ebene basieren.

Festgestellt werden kann eine Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt oder einer Ärztin. Sobald Sie als arbeitsunfähig eingeschätzt wurden, stellt der Mediziner oder die Medizinerin Ihnen ein entsprechendes Arbeitsunfähigkeitszeugnis aus. Sie sind in der Pflicht, Ihrem Arbeitgeber dieses Attest binnen drei Arbeitstagen zuzustellen. 

Wie sollte das Arbeitsunfähigkeitszeugnis aussehen?

An dieser Stelle zunächst wichtig zu wissen ist, dass es sich bei einem Arbeitsunfähigkeitszeugnis um ein rechtliches Dokument handelt, das von Ihrem behandelnden Arzt gewissenhaft ausgefüllt werden sollte. Alle Angaben müssen demnach der Wahrheit entsprechen. „Ein Auge zuzudrücken“ und ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis als Gefallen auszustellen, kann eine strafrechtliche Verfolgung für Ärztinnen und Ärzte zufolge haben. 

Inhalt und Form des Arbeitsunfähigkeitszeugnisses

Obgleich es keine rechtliche Vorschrift darüber gibt, wie ein Attest über die Arbeitsunfähigkeit in Form oder Inhalt auszusehen hat, ist es dennoch wichtig, dass dessen Formulierung präzise ist und nicht missverstanden werden kann. Ein solches Zeugnis muss zum einen ausserdem den vorläufigen Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit angeben und zum anderen deutlich machen, in welchen Rahmen Sie arbeitsunfähig sind. Dürfen Sie innerhalb des Zeitraumes gar nicht arbeiten oder Ihre Beschäftigung teilweise ausüben? Wenn ja, unter welchen Bedingungen ist Ihnen die Arbeit aus medizinischer Sicht zuzumuten? Wenn Sie über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig sind, sollte Ihr Arzt oder Ihre Ärztin die Entscheidung ausreichend begründen. 

Beispiele für passende Formulierungen

„Die Patientin Maria Mustermann ist vom 01.02.2021 bis voraussichtlich 28.02.2021 zu 100 % arbeitsunfähig. Die nächste Konsultation in unserer Praxis ist zum 20.02.2021 geplant.“

„Der Patient Benedikt Muster ist weiterhin zu 100  % arbeitsunfähig (vgl. Arztzeugnis vom 01.10.2021). Die Arbeitsunfähigkeit dauert unverändert bis voraussichtlich dem 31.10.2021 an. Die nächste Folgekonsultation wird am 25.10.2021 in unserer Praxis stattfinden.“

Die genaue Diagnose wird innerhalb des Arbeitsunfähigkeitszeugnisses aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht nicht ausgeführt. Wünschen Sie eine solche Angabe jedoch ausdrücklich, ist dies möglich. Ansonsten müssen Sie Ihrem Arbeitgeber lediglich mitteilen, um welche Art der Arbeitsunfähigkeit es sich handelt (Krankheit, Unfall, Schwangerschaft).

Arbeitsunfähigkeitszeugnis im Falle einer Teilarbeitsunfähigkeit

In einigen Fällen können Ihre gesundheitlichen Einschränkungen so ausfallen, dass Ihre Ärztin Sie zwar für arbeitsfähig hält, aber Ihnen aus medizinischer Sicht dazu rät, einige Ihrer üblichen Tätigkeiten über einen vordefinierten Zeitraum nicht mehr ausüben. Auch kann sie Ihnen dazu raten, Ihre Arbeitszeit vorläufig zu reduzieren. In einem solchen Fall sollte das Attest inhaltlich so gestaltet werden, dass ersichtlich ist, welche Tätigkeiten oder welche Stundenzahl verkürzt werden sollte. Ihre mündliche Beschreibung der Tätigkeit und Ihres Arbeitsplatzumfeldes gegenüber der Ärztin reicht dabei gewöhnlich für eine valide, medizinische Einschätzung aus. 

Beispiele für passende Formulierungen

„Die Patientin Carina Mustermann kann ihrer Beschäftigung ab dem 01.09.2021 bis voraussichtlich 29.02.2022 nur 5 Stunden am Tag nachgehen…“

„Der Patient Noah Muster kann seiner Arbeit nachgehen. Allerdings kann er ab dem 01.12.2021 bis auf unbestimmte Zeit nur noch für leichte Hebetätigkeiten bis zu 20 kg oder für sitzende Tätigkeiten eingesetzt werden. Die nächste Konsultation...“

Kommunikation mit der Krankentaggeldversicherung

Gerade in der Kommunikation mit der Krankentaggeldversicherung ist ein präzises Arbeitsunfähigkeitszeugnis oft Gold wert. Die Versicherer haben die Aufgabe, genau zu überprüfen, ob Sie womöglich in einem anderen Beruf oder Arbeitsumfeld Ihre Arbeitsleistung trotz Ihrer gesundheitlichen Einschränkung wieder voll einbringen könnten. Insbesondere wenn Sie über einen langen Zeitraum krankgeschrieben sind, sind Krankentaggeldversicherungen berechtigt, von Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin regelmässige Updates darüber zu erhalten, ob eine solche Massnahme möglich wäre. Hat der Versicherer Zweifel an der ärztlichen Meinung, kann er Sie bitten, zu einem Vertrauensarzt oder einer Vertrauensärztin zu gehen. 

Arbeitsunfähigkeitszeugnis im Falle einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit

Von einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit ist die Rede, wenn sich die Beschwerden in Bezug auf den konkreten Job ergeben haben. Typischerweise handelt es sich hierbei um Beschwerden, die aus einer andauernden psychologischen Belastung resultieren, wie beispielsweise Mobbing am Arbeitsplatz

Stellt ein Arzt eine solche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus, muss dieser neutral in seiner Schilderung bleiben, da oftmals physische Beweisverfahren wie ein CT nicht zum Tragen kommen können und es dann an der Beweisbarkeit fehlt. Stattdessen kann er Formulierungen wie  „…nach Angaben des/der Patienten/Patientin“ nutzen. Eine Empfehlung darf er oder sie nicht aussprechen, aber einen Einsatz in einem anderen Umfeld bestätigen. 

Beispiele für eine passende Formulierung

„Der Patient Sven Mustermann ist in seiner derzeitigen Arbeit zu 100 % arbeitsunfähig, jedoch voll einsetzbar in einem anderen Umfeld in einer vergleichbaren Position bzw. Aufgabenfeld.“

Tipp: Rechnen Sie damit, dass arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeitszeugnisse von Arbeitgebern sowie Versicherungen besonders genau begutachtet werden. Dennoch sollten Sie sich davon nicht beirren lassen und Ihrer Gesundheit zuliebe diesen Weg gehen. Ein Anwalt für Arbeitsrecht kann Sie in einem Gespräch eingehend beraten und Sie auf Wunsch auch im weiteren Prozess unterstützen. 

Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit: Muss ich zu einer vertrauensärztlichen Untersuchung gehen? 

Hat Ihr Arbeitgeber oder Ihr Versicherer Zweifel an Ihrer Arbeitsunfähigkeit oder möchte lediglich eine Zweitmeinung einholen, ist es sein Recht, eine arbeitsrechtliche Untersuchung anzuordnen. Sie erhalten dann eine Aufforderung, zu einem bestimmten Arzt zu gehen, den Ihr Arbeitgeber beziehungsweise der Versicherer bestimmt. Sie haben grundsätzlich das Recht, dies abzulehnen. Aus Sicht des Arbeitsrechts ist dies jedoch nicht immer sinnvoll, da sich Prozesse dadurch verkomplizieren und bis vor das Arbeitsgericht führen können. 

Vertrauensärztliche Untersuchung: Ablauf, Schweigepflicht, Kosten

Zu bedenken gilt, dass eine vertrauensärztliche Untersuchung genauso abläuft wie jede reguläre ärztliche Untersuchung. Auch die ärztliche Schweigepflicht besteht hier. Ihr Arbeitgeber beziehungsweise Versicherer bekommt lediglich bestätigt, dass Sie arbeitsunfähig sind, zu wie viel Prozent und ob eine Krankheit oder ein Unfall die Ursache sind. Die Kosten der Untersuchung sind für Sie irrelevant. Diese hat Ihr Arbeitgeber zu bezahlen, an den der Arzt oder die Ärztin die Rechnung direkt stellt. 

Wer zahlt meinen Lohn, wenn ich arbeitsunfähig bin? 

Ihre Rechte hinsichtlich einer Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sind zumeist in Ihrem vorliegenden Arbeitsvertrag schriftlich festgehalten. Darüber hinaus führt das schweizerische Obligationenrecht (OR) in Artikel 324a und 324b aus, dass Beschäftige bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit und wenn der Grund bei der Person selbst liegt, das Recht auf eine Lohnfortzahlung haben. 

Dauer der Lohnfortzahlung

Wie lange Sie Ihr Gehalt fortgezahlt bekommen, hängt primär von Ihren bisherigen Beschäftigungsjahren beim jeweiligen Unternehmen ab. Darüber hinaus gibt es kantonale Unterschiede. Im ersten Jahr Ihres Angestelltenverhältnisses beträgt die Lohnfortzahlung in allen Kantonen jedoch mindestens drei Wochen. Die schweizerische Eidgenossenschaft bietet mit der Basler, Berner und Zürcher Skala einen Überblick nach Kantonen. 

Krankentaggeldversicherung

Der Abschluss einer Krankentagegeldversicherung auf Arbeitgeberseite ist in der Schweiz bisweilen nicht rechtlich verpflichtend. Dennoch entscheiden sich immer mehr Betriebe neben dem Abschluss von Unfallversicherungen zu dieser sinnvollen Massnahme. Eine Krankentaggeldversicherung deckt bereits im ersten Jahr einer Arbeitsunfähigkeit gewöhnlich 80 Prozent des Lohnausfalles für 720 Tage ab. Diese Regelung ist zwar an einen bestimmten prozentualen Anteil von Arbeitsunfähigkeit geknüpft, welcher in der Regel jedoch bereits ab rund 25 Prozent gegeben ist.  

Tipp: Hat Ihnen Ihr Arbeitgeber im Arbeitsvertrag eine Krankentaggeldversicherung zugesichert, aber Sie finden im Krankheitsfall heraus, dass gar keine vorliegt, entsteht eine Schadenspflicht auf Arbeitgeberseite. Sie können dann von Ihrem Arbeitgeber den Betrag einfordern, der Ihnen bei erfolgtem Abschluss der Versicherung zugestanden wäre. 

Unfallversicherung

Eine Unfallversicherung schliesst ein jeder Schweizer Betrieb obligatorisch ab, um gegebenenfalls nicht auf immensen Kosten sitzenzubleiben. Daher können Sie bei einem Betriebsunfall in aller Regel sichergehen, dass Sie finanziell abgesichert werden. Die Beträge fallen hier gemäss Artikel 15 bis 17 sowie Artikel 22 und 23 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG) ähnlich aus wie bei der Krankentaggeldversicherung. Bei einer 100%-igen Arbeitsunfähigkeit infolge eines Unfalls zahlt die Unfallversicherung ab Tag Drei einen prozentualen Anteil von 80 Prozent Ihres Gehalts. Bei einer Teilarbeitsunfähigkeit reduziert sich der Betrag anteilig. 

Darf mir mein Arbeitgeber kündigen, wenn ich unverschuldet arbeitsunfähig bin?

Artikel 336c OR schützt Sie nach Ablauf der Probezeit in besonderem Masse vor einer Kündigung während einer Krankheit oder nach einem Unfall. Im ersten Anstellungsjahr beträgt Ihre Sperrfrist 30 Tage. Das heisst, wenn Sie bis zu maximal 30 Tage im Jahr krankgeschrieben sind, darf Sie Ihr Arbeitgeber nicht einfach kündigen, wenn Sie die Echtheit Ihrer Arbeitsunfähigkeit beweisen können. Die Sperrfrist erhöht sich ab dem zweiten Jahr der Betriebszugehörigkeit auf 90 Tage, ab dem sechsten Jahr sind es 180 Tage. 

Ausnahmen 

Vom Kündigungsschutz ausgenommen ist die arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit mit physischem Zusammenhang. Unter Umständen trotzdem kündigen darf Ihnen Ihr Arbeitgeber, wenn er Ihnen das ‚Blaumachen‘ nachweisen kann. Juristisch ausgedrückt wird in diesem Zusammenhang von einem vorsätzlichen Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit gesprochen. Faktisch gesehen führt ein solches Verhalten jedoch meist nur zu einer einmaligen Abmahnung und nur in sehr schwerwiegenden Fällen zu einer sofortigen Kündigung. In welchem Fall der Kündigungsschutz definitiv eingeschränkt ist, sind Massenentlassungen aus rein wirtschaftlich notwendigen Gründen.

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FAQ: Arbeitsunfähig in der Schweiz

Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit bezeichnet die teilweise oder vollständige Unfähigkeit, dem bisherigen Beruf oder aktuellen Aufgabenbereich weiterhin nachzugehen. Der Grund der Beeinträchtigung kann dabei körperlich, geistig oder psychischer Natur sein.

 

Achten Sie neben der Angabe Ihrer korrekten persönlichen Daten darauf, dass der Zeitpunkt des Behandlungsbeginns, die Dauer sowie der Grad der Arbeitsunfähigkeit genannt werden. Hinsichtlich des Grundes ist die allgemeine Nennung von entweder „Krankheit“ oder „Unfall“ ausreichend, nähere Angaben über Ihre Krankheit müssen Sie nicht machen.

 

Theoretisch können Sie eine solche Untersuchung ablehnen, was allerdings dienstliche Konsequenzen mit sich bringen könnte. Eine vertrauensärztliche Untersuchung läuft ab wie eine reguläre Gesundheitsuntersuchung und Ihr Arbeitgeber bekommt lediglich Auskunft über den prozentualen Grad Arbeitsunfähigkeit und ob eine Krankheit oder ein Unfall die Ursache sind.

 

Das Obligationenrecht berechtigt Schweizer Beschäftige zu einer zeitlich begrenzten Lohnfortzahlung durch den Arbeitnehmer. Das Geld selbst kommt in der Regel aus der Unfall- oder/und Krankentaggeldversicherung Ihres Arbeitgebers.

 

Eine Krankentaggeldversicherung deckt im ersten Jahr, in dem Sie arbeitsunfähig sind, gewöhnlich 80 Prozent des Lohnausfalles für 720 Tage ab.

Sollten Sie infolge eines Unfalls vollständig arbeitsunfähig sein, zahlt die Unfallversicherung ab dem dritten Krankheitstag einen prozentualen Anteil von 80 Prozent Ihres Gehalts. Bei einer teilweisen Arbeitsunfähigkeit reduziert sich der Betrag anteilig.

 

Das schweizerische Obligationenrecht schützt sie nach Ablauf Ihrer Probezeit in besonderem Masse vor einer Kündigung während einer krankheitsbedingten bzw. unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit. Eine Beeinträchtigung des Kündigungsschutzes kann jedoch entstehen, wenn es zum Beispiel zu einer Massenentlassung kommt.

Gesetzesartikel

Definition der Arbeitsunfähigkeit (Artikel 6 ATSG)

Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit (Artikel 324a)

Anspruch auf Taggeld der Unfallversicherung (Artikel 15 bis 17)

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